Was geht, Herr Duden?

Wer bestimmt eigentlich, was in der deutschen Sprache erlaubt ist und was nicht? Eine voreingenommene Analyse.

Manchmal lese ich Diskussionen darüber, was im Deutschen denn erlaubt sei und was nicht. Jüngstes Beispiel war das Wort „Musikerleben“. Das kann, je nach Kontext, das Leben eines Musikers meinen oder das Erleben von Musik. Jemand meinte aber, letzteres zu substantivieren ginge eigentlich nicht. Da hab ich mich gefragt, wieso nicht.

Alles geht, grundsätzlich

Grundsätzlich kann man ja im Deutschen aus allem ein Hauptwort machen. Artikel davor, ersten Buchstaben groß, fertig. Das ist manchmal schön, manchmal schräg, manchmal schrecklich. Schön: das Wünschen. Schräg: das Manchmal. Schrecklich: das Verunmöglichen.

Ganz groß im Verschrecklichen sind die Verantwortlichen in Juristerei und Verwaltung. Hier bedient man sich häufig der Endung „ung“, um aus allem Möglichen Unmögliches zu fabrizieren. Da heißt es dann „Besitzstandswahrung“ oder „Schlechterstellung“ oder „Laufbahnbefähigung“.

Weniger Substantive, aktivere Schreibe

Aber wie immer kommt es auf den Zusammenhang an. Und dabei erst mal auf den großen. In Gebrauchstexten stören allzu viele Substantive und erschweren das Lesen. Kurz gesagt: Nominalstil böse, Verbalstil gut. Wobei es auch hier Abstufungen gibt. Es ist schon stilistisch anders, ob ich „die Lesbarkeit“ oder „das Lesen“ erschwere.

Vorsicht vor Unpersönlichmachung

Endungen wie -keit, -heit und -ung haben außerdem noch einen anderen unschönen Effekt: Sie machen den Text unpersönlich. Als habe der Autor nichts mit seiner Botschaft zu tun, schieben sie einen Filter zwischen Inhalt und Schöpfer. Damit wollen sie objektiv wirken.

Weniger positiv ausgerückt: Der Autor versteckt sich hinter dem Text. Er verneint seine Verantwortung. Die haben bestenfalls andere. Bei Nachrichten-Sendungen ist das verständlich. Schließlich wurden schon etliche Überbringer schlechter Nachrichten geköpft, zumindest in früheren Epochen.

Heute bleibt – im schlechtesten Fall – die Verantwortung beim Leser hängen. Bei Texten aus Kanzleien und Behörden ist das durchaus gewollt. Bei Infos oder Werbung kommt das aber ganz schlecht. Da fühlt man sich wahlweise wie Ochs vorm Berg oder kurz vor der Hinrichtung.

Das Schönermachen im Freisein

So mancher sagt daher schnell: geht gar nicht. Steht außerdem nicht im Duden, also nicht erlaubt. Aber damit verbaut man sich auch viele wunderbare Wege der deutschen Sprache.

Klar, in einem Infoblatt will die auch keiner gehen. Aber ich frag mich, ob man mit so einer Schere Kopf überhaut einen Sprachweg frei beschreiten kann. Denn ist es nicht viel leichter, sich aus der Freiheit heraus zu beschränken als aus der Beschränkung zu befreien?

Was für wunderbare substantivierte Worte wir doch finden, wenn wir frei suchen! Wie viele schon gefunden wurden: „das Absichtslose“, „das Nicht-Gesicht“, „das fernste Weiß“, „ihr Gestorbensein“, „mein Einsamsein“, „das Wir“. So frei war das Deutsche schon bei Rilke.