Was ist Kunst?

Was Kunst ist, dazu hat jeder eine Meinung. Jedenfalls irgendwie. Denn richtig erklären kann einem das keiner. Liegt das an der Kunst? Oder an der Frage? Ein Klärungsversuch.

Kleine Warnung vorab: Der Artikel ist etwas länger als sonst. Halten Sie durch. Noch was: Obwohl ich etliche Künstlerinnen und Rezipientinnen kenne, verwende ich hier ausschließlich die männliche Form. Fühlt euch bitte mitgemeint.

Was ist Kunst – mit dieser Kinderfrage können Sie gelehrte Köpfe ganz schön zum Rauchen bringen. Die Klugen werden Ihnen was von Kant oder Adorno erzählen. Damit können sie sich gut um eine eigene Meinung drücken. Beantworten aber nichts.

Viele Definitionen setzen am Kunstwerk an, manche auch am Kunstschaffen, manche an der Kunstrezeption. Viele dieser Definitionen vermischen im weiteren Verlauf die verschiedenen Ebenen. Das kommt davon, wenn man alle Aspekte in der Definition berücksichtigen will. Dadurch wird der Begriff unscharf, es bleibt ein diffuser Eindruck zurück, und wenn nichts mehr geht, wird das Wort „Gefühl“ bemüht.

Hinzu kommt, dass viele Definitionen Inhalt und Wirkung von Kunst festlegen wollen. Oder dass dogmatisch gefordert wird, wie Kunst zu sein habe, z. B. schön, gut oder politisch. Meiner Meinung nach waren solche Forderungen noch nie legitim. Spätestens die Moderne hat aber klar gemacht, dass sie unmöglich sind. Und ich bin stets verwundert, dass sie immer noch gestellt werden.

Die falsche Frage

Kann es sein, dass die Frage „Was ist Kunst?“ so schwer zu beantworten ist, weil die Frage nicht richtig gestellt ist? Tatsächlich entpuppt sich die Frage nämlich als zweigeteilte:

  1. Wann ist etwas Kunst?
  2. Was ist das Wesen von Kunst?

 

Das ist die klassische Frage nach Form und Inhalt. Obwohl in der Sache nicht voneinander zu trennen, müssen wir sie doch getrennt betrachten.

Wann ist etwas Kunst?

Genauer: Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit etwas Kunst ist? Aufgepasst! Die Frage lautet nicht:

„Welche Bedingungen muss etwas erfüllen …“

Denn der Gegenstand spielt bei dieser Entscheidung nicht die Hauptrolle. Um nicht zu sagen: keine Rolle. Sprich: Alles kann Kunst sein, wenn die Bedingungen stimmen. Das dürfte spätestens mit Marcel Duchamps „Fountain“ klar geworden sein. Aber was sind dann die Bedingungen?

Kunst ist Kommunikation

Die Sache wird etwas klarer, wenn wir Kunst nicht als Gegenstand betrachten, sondern als Prozess. Und damit meine ich nicht den Schaffensprozess. Sondern den Prozess, der sich zwischen einem Künstler und einem Betrachter abspielt. Man kann diesen Prozess auch schlicht als Kommunikation bezeichnen. Und von allem Ballast abstrahiert, ist es auch genau das:

Jemand (Künstler) „sagt“ etwas (Kunstwerk) zu jemandem (Rezipient).

Wie bei jedem guten Gespräch, haben die beiden Beteiligten bestimmte Erwartungen an den Gesprächspartner. Diese Erwartungen müssen erfüllt sein, soll die Kommunikation gelingen. Wenn beispielsweise Sie mir etwas sagen, erwarte ich von Ihnen vor allem, dass sie aufrichtig zu mir sind. Auch müssen Sie ein Mensch sein: Weder mit Tieren noch mit Maschinen führe ich ein ernsthaftes Gespräch.

Kunstwille

Gleiches erwarte ich als Rezipient vom Künstler: dass er in seinem Kunstschaffen aufrichtig ist. Heißt: dass der Künstler will, dass das, was er da macht, Kunst ist.

Das klingt zunächst banal, schafft aber einige klare Abgrenzungen:

• Ein Fälscher zum Beispiel ist nicht aufrichtig.
• Auch jemand, der keck behauptet: „So was kann ich auch“ und daraufhin mit dem Pinsel einige Kleckse auf die Leinwand wirft, ist selbst nicht überzeugt, dass das Kunst ist. Und damit kann er das auch nicht aufrichtig behaupten.
• Gleiches gilt für Maschinen, jedenfalls solange sie noch keine Bewusstsein schaffende Intelligenz besitzen.
• Auch Naturphänomene sind keine Kunst, selbst wenn der Zufall aus Tektonik und Erosion eine zweite Venus von Milo meißeln sollte.
• Und Tiere? Zumindest Menschenaffen? Ja, kann sein, dass malende Orang-Utans aufrichtigen Kunstwillen haben. Leider können sie es uns nicht mitteilen. Darum können wir nie sicher sein, ob sie uns nicht doch zum Besten halten. Und darum ist das keine Kunst.

Doppeltes Signal

Bei genauerer Betrachtung sind das also zwei Informationen: eine für den Inhalt, eine für deren Wahrheitsgehalt.

Klingt kompliziert, passiert aber bei jedem Gespräch: Auf der ersten Leitung wird der Inhalt vermittelt. Das ist das, was wir sagen, z. B. „Ich habe gestern einen Baum gepflanzt.“ Auf der zweiten Leitung wird das Gesagte authentifiziert, also als echt dargestellt. Das geschieht z. B. dadurch, wie wir es sagen, also durch Tonfall, Mimik und Gestik. Wenn Sie den Sprecher kennen, können Sie auch gut einschätzen, ob er aufrichtig ist oder nur einen Scherz macht.

Und wenn Sie ihn nicht kennen? Und Sie ihn auch nicht sehen? Das ist schließlich in der Kunst meistens der Fall. Stellen Sie sich vor, Sie hören den Sprecher nur aus einem Nebenraum, ohne ihn zu sehen. Oder er twittert den Satz nur. Wie können Sie dann sicher sein, dass er nicht lügt?

Auf Wahrheit prüfen

Eine Methode: Der Sprecher schmückt seine Geschichte aus. Er sagt, warum und wo er den Baum gepflanzt hat, welche Art Baum es war und so weiter. Auch kann der Sprecher vielleicht belegen, dass er auch sonst sehr bauminteressiert ist, womöglich sogar ein Förster oder Gärtner.

Und schließlich bringt er auch noch Zeugen bei, die seine Geschichte bestätigen und ihn als großen Baumpflanzer preisen. Vielleicht haben Sie auch Gelegenheit, den Sprecher zu treffen. Wenn das alles passt, dann werden Sie vermutlich das Gesagte als wahr hinnehmen.

Mit großer Entschlossenheit

Genau so läuft es auch bei der Kunst ab. Denn wann nehmen Sie jemandem ab, dass hinter seinem Tun ein aufrichtiger Kunstwille steckt? Zum Beispiel dann, wenn das, was er da präsentiert, nicht das einzige ist, was er gemacht hat. Ein Seerosenbild könnten Sie noch für einen Scherz oder eine Laune halten. Aber hundert davon?

Auch wenn der Künstler z. B. eine Akademie besucht hat, werden Sie ihm den Kunstwillen eher glauben, denn das Prestige einer solchen Ausbildung wiegt schwer. Außerdem ist das eine enorme Investition von Zeit und Geld, und das bei ungewissem Erfolg.

Und schließlich werden Sie den vielen Zeugen glauben, die seinen Kunstwillen bezeugen: den Kritikern und Galleristen, den Buchautoren und Museumskuratoren, den geldschweren Sammlern und nicht zuletzt Ihren kenntnisreichen Freunden.

Auf Sie kommt es an

Und doch nützt das alles nicht, wenn Sie dem Schöpfer seinen Kunstwillen nicht abnehmen.  Auf Sie kommt es an: Dass Sie dem Sprecher seine Aussage, dass Sie dem Künstler seine Schöpfung abnehmen. Nur dann, in diesem kommunikativen zweikanaligen Prozess, wird aus dem Gesagten eine Wahrheit, aus dem Gemachten ein Kunstwerk.

Kurz und formelhaft:

Etwas ist dann Kunst, wenn Sie als Rezipient ein mit Kunstwillen Geschaffenes als Kunst akzeptieren.

Womit dann auch endgültig die Frage geklärt sein dürfte, ob Ihre Kurzgeschichten und Gedichte, die Sie noch nie jemandem gezeigt haben, Kunst sind. Natürlich sind sie es, sofern Sie sie mit Kunstwillen verfasst haben und sich auch später noch diese Ernsthaftigkeit abkaufen. Sie sind dann zwar Künstler und Rezipient in einer Person, führen also quasi ein Selbstgespräch. Das ändert aber nichts am Mechanismus.

Die halbe Wahrheit

Was aber, wenn Sie sagen: „Das ist doch keine Kunst!“? Dann ist es auch keine Kunst – für Sie. Auch wenn die Kritiker, die Sammler, die Verleger und all Ihre Freunde sagen, dass dieses Etwas, vor dem Sie da im Museum stehen, Kunst ist. Für die mag es das ja sein, aber für Sie ist es keine Kunst.

Denn Sie brechen damit die Kommunikation ab. Kein Prozess, keine Kunst. Warum, spielt keine Rolle. Vielleicht glauben Sie dem Künstler nicht (Fettecke? Der will der mich wohl verarschen! ) oder Ihnen gefällt die Ausführung nicht (Das Gekrakel? Kann mein Kind besser!).

Dann dürfen Sie sich aber auch die Frage stellen, welche Rolle Kunst denn für Sie haben soll. Und welche Rolle Sie dabei spielen. Und ob es fair gegenüber dem Künstler ist, von ihm Aufrichtigkeit zu verlangen, aber selbst kein aufrichtiges Bemühen aufbringen.

Konsumieren Sie noch oder rezipieren Sie schon?

Gut, ich kann häufig auch nichts mit zeitgenössischer Kunst anfangen. Das ist aber für mich kein Grund, die Kommunikation abzubrechen, im Gegenteil. Ich frage nach den Hintergründen, mache mir Gedanken. Und plötzlich öffnen sich ganz neue Perspektiven.

Bei Kunst bin ich eben kein passiver Konsument . Das ist mir erstens zu langweilig und wird zweitens den Kunstschaffenden nicht gerecht. Wenn ich entscheide, ob etwas Kunst ist oder nicht,  trage ich auch Verantwortung. Und als Verantwortlicher darf ich nicht leichtfertig mit meinem Urteil umgehen.

Und was ist nun das Wesen von Kunst?

Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht.

Als jüngst in einem fiktiven Gespräch mal wieder jemand sagte, Kunst müsse kunstfertig sein, entgegnete ich keck: Kunst kann so sein, muss sie aber nicht. Schließlich kommt Kunst von Können. Käme es von Müssen, hieße es ja Most.

Eigentlich könnte ich mich diebisch freuen über die Sinnumkehrung dieses dumpfen Spruches. Allerdings fehlt die Grundlage. Denn Kunst kommt nicht von Können. Zwar haben beide die gleiche Wurzel „kunnen“, haben sich aber parallel aus dieser entwickelt.

Das althochdeutsche „kunnen“ bedeutete außerdem viel mehr als nur „können“ im Sinne von „etwas vermögen“. Nämlich unter anderem und vor allem: wissen, kennen, erkennen.

Kommen wir da vielleicht dem Kern der Sache  näher? Nur vielleicht. Und höchstens näher. Denn getroffen habe ich ihn noch nicht, den Kern. Irgendwie habe ich auch den Verdacht, dass das gar nicht möglich ist. Weil es „die Kunst“ gar nicht gibt. Und außerdem: Spaß macht’s ja trotzdem.

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