Plan B

Die Dinge laufen nicht immer so, wie man sich das vorstellt. Gut, wenn man noch Alternativen hat.

Willst du Gott zum Lachen bringen, mach einen Plan – lautet ein geläufiges Bonmot. Der Plan war, einen Artikel über einfache Sprache zu schreiben. Aber zuerst hatte ich anderes zu tun, dann keine Zeit und zuletzt erwies sich das Projekt als zu umfangreich und zu wichtig, um in zwei Tagen übers Knie gebrochen zu werden. Also Plan B. Der hat nichts mit Werbung zu tun, sondern mit Literatur. Besser gesagt: Es ist der Anfang einer Erzählung, also selbst ein Stück Belletristik. Die schreib ich nebenher auch noch, weil zwar der Leib, nicht aber der Geist vom Werben alleine satt wird. Ich hoffe, Sie haben trotzdem Spaß. Auch wenn die Geschichte nicht wirklich zum Lachen ist.

 

Die Wiese (Fragment)

Arne träumt in letzter Zeit häufiger von einer Wiese. Es war das ziemlich exakte Nachbild dieser Wiese aus ihrem letzten Urlaub. Einen Nachmittag lang hatten er und Susanne hinter der kleinen Pension in den Save-Auen gesessen und in diese Wiese gestarrt, eine weitläufige Fläche voller Gräser und Blumen und Kräuter, mit einer Telegrafenleitung in halber Entfernung, auf deren Kabel ab und an Vögel landeten, platziert wie Noten auf einem Notenblatt; mit einem Knick weit hinten aus Büschen und kleinen Bäumen, dazwischen ein großer Baum und in der Mitte eine kleine Lücke, durch die man mit dem Fernglas spähen und erahnen konnte, dass die Wiese dahinter noch weiter ging. Sie sollten doch mal rausgehen, bis hinter die Hecke, die freilaufenden Rinder streicheln, meinte Nicola, der Wirt der Pension. Aber Susanne waren die Rinder nicht geheuer, und auch von den Wollschweinen hatte sie mehr als Respekt. Außerdem wurde im Reiseführer vor Schlangen und Minen gewarnt. Die Schlangen würden sie nicht zu Gesicht bekommen, die wären viel zu schnell bei dem schönen Wetter, sagte Nicola. Und Minen, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu, Minen gäbe es hier ja nicht. Weiter die Straße runter, Richtung Jesanovac, ja, da sollte man besser auf den Wegen bleiben. Er stellte ihnen die Limonade auf den Holztisch und ging wieder zurück in Richtung Haus.

Die „Steinerne Blume“, eine riesige Betonskulptur, erinnerte auf kroatischer Seite an das KZ Jesanovac, das größte Vernichtungslager des Unabhängigen Staates Kroatien im 2. Weltkrieg. Gründer und Leiter des Lagers, General Luburic´, war zur „Ausbildung“ im KZ Sachsenhausen gewesen. Gaskammern gab es allerdings keine in Jesanovac. Getötet wurde vielmehr in Handarbeit. „Maks der Metzger“ wurde der General genannt. Wie viele Menschen die Faschisten abgeschlachtet haben, ist nicht ganz geklärt. Man hat sich auf irgendwas um die 80.000 geeinigt, die meisten davon Serben, aber auch Juden, Kroaten, Roma, Bosniaken. Es gibt auch andere Zahlen: 100.000, 300.000, 400.000 – 700.000 steht auf einer Tafel von Donja Gradina, der Gedenkstätte auf der bosnischen Seite des Flusses. Hier war das Gelände des Vernichtungslagers, wie Susanne in Wikipedia nachlas. Arne wollte da nicht hin. Ihm reichte das hier schon, dann auch noch die vielen Häuser mit Einschusslöchern vom letzten Krieg, der grade mal 25 Jahre her war. Er war nicht in den hintersten Winkel Europas gefahren, um dann mit den gesamten Grausamkeiten des 20. Jahrhunderts konfrontiert zu werden. Außerdem hatte ihr Mietwagen für den Grenzübertritt keine Erlaubnis, die hätte 70 Euro extra gekostet.

Das ist noch nicht vorbei, meinte Susanne, in Bosnien schwelt es wieder, da feiern die Serben jetzt ihren eigenen Unabhängigkeitstag oder so was. Es ist nie vorbei, dachte Arne, solange Menschen dumm und gierig sind, wird es nicht vorbei sein; also nie. Es ist alles nur abgetaucht und mühsam unter der Decke gehalten, und der ganze braune Abschaum schickt sich schon wieder an hochzukochen. Mit dem christlichen Abendland war es nicht weit her, das diente ohnehin nur als hohler Popanz, den man nach Bedarf vorschicken konnte, immer schon. Nicht mal die erklärten Christen hatte es gestört, massenhaft Menschen abzuschlachten, die ihnen nicht passten: Juden, Muslime, Frauen, Freidenker, Protestanten, Katholiken, je nach Konfession. Im Zweifelsfall berief man sich lieber auf alttestamentarische Könige als auf die Bergpredigt. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Liebe deinen Nächsten, aber höchstens, wenn er so aussieht und denkt wie ich.

Der Tag war eh versaut. Sie fuhren herum und versuchten an einen See zu kommen, fanden aber den Zugang nicht. Schließlich parkten sie an einer Weggabelung mitten im Wald, auf einem Weg, der am See entlang führte. Hinter einem Graben und einer dichten Hecke, die über einen hohen Zaun wucherte, quakte und schnatterte es. Sehen ließen sich aber nur Meisen und Krähen. Die meisten Vögel waren ohnehin schon weg, aufgebrochen in die afrikanischen Winterquartiere. Oder versteckten sich in diesem See, dachte Arne. Sowieso nur Stockenten, sagte Susanne. Wenigstens war es im Wald etwas kühler. Die Hitze war feucht und ölig, Gewitter hingen in der Luft. Auf der Rückfahrt überfuhren sie ein Kaninchen. Susanne erschrak, dreht sich nach hinten, zerrte am Gurt, der sie zurückhielt. Halt an! Arne hielt an, mitten auf dem Weg, und hoffte, dass niemand entgegen oder von hinten ankam. Du hast was überfahren, sagte Susanne aufgebracht. Vermutlich nur ein Frosch, meinte Arne. Nein, setz mal zurück. Arne seufzte und legte den Rückwärtsgang ein. Vorsichtig setzte er zurück. Stopp mal. Susanne stieg aus. Oh Gott! hörte Arne sie von draußen rufen. Es lebt noch! Arne stieg aus. Der Wagen hatte das Kaninchen an den Hinterläufen erwischt, es strampelte wild mit den Vorderläufen, um zu fliehen, drehte sich aber immer nur in einem ganz kleinen Kreis und katapultierte die Steinchen weg, die da lagen. Susanne fuchtelte mit den Armen, als wisse sie nicht wohin damit. Was sollen wir tun, was sollen wir tun? Arne zuckte die Schultern. Wir können nichts mehr tun. Aber wir können es doch nicht so liegenlassen, schrie Susanne, trat von einem Fuß auf den anderen und lief dann aufgeregt herum. Sie weinte fast. Das Kaninchen zappelte weiter wie verrückt. Arne öffnete den Kofferraum, dann die Klappe zum Reserverad. Er wog den Radschlüssel in der Hand, nahm dann aber den Wagenheber, wegen des größeren Gewichts. Unter dem Fahrersitz zog er eine der Plastiktüten hervor, die er dort verstaut hatte. Setz dich mal ins Auto, sagte er zu Susanne. Als sie eingestiegen war, legte er die Plastiktüte über das Kaninchen. Er hört Susanne spitz aufschreien, als er den Wagenheber auf die Ausbeulung der Plastiktüte schlug.

Schweigend fuhren sie weiter. Hast du das Kaninchen da liegen lassen? fragte Susanne nach einer Weile. Sie hatte sich wieder beruhigt. Arne nickte. Freut sich der Bussard. – Und die Plastiktüte? – Hab ich in eine andere Tüte gepackt. Liegt noch im Kofferraum. Müssen wir gleich mal entsorgen. Schweigend fuhren sie zurück zur Pension. Arne nahm den Weg quer durchs Polje, das hier noch überwiegend von Äckern und Wiesen bestimmt war. Niemand kam ihnen entgegen. Warum haben sie eigentlich kein Gas verwendet, sagte Susanne nach einer Weile. Ich mein, hier im KZ. Arne zuckte mit den Schultern. Vielleicht zu teuer. Da hängt ja auch noch die ganze Technik dran. Das war auch im Krieg nicht so ohne weiteres zu beschaffen. Aber Mord ist Mord. Die Opfer sterben. Es ist nur für die Täter anders.

Nachts war es so still, dass Arne anfangs dachte, das Fenster sei geschlossen. Das Fenster ist auf, sagte Susanne. Da kam er sich vor, als seien sie ganz alleine auf der Welt, alle Menschen und Tiere weg oder dahingerafft, von einem Krieg oder einer Katastrophe, die sie aus irgendeinem Grund nicht mitbekommen hatten. Arne überlegte, was das sein könnte, eine Neutronenbombe vielleicht oder ein Vulkanausbruch oder ein Meteoriteneinschlag. Aber warum hatten sie davon nichts mitbekommen? Und war auch die gesamte Flora vernichtet? Wie sollten sie dann überleben? Sicher gab es noch Vorräte in der Pension, gut verschlossen in einem Keller, jede Menge Konserven, denen konnte so leicht nichts anhaben. Vielleicht war auch anderes noch genießbar, Mehl, Reis, Nudeln, vielleicht sogar Trockenfleisch. Damit kamen Sie eine Weile über die Runden, danach würden sie in anderen Häusern suchen oder nach Jesanovac fahren, in den Supermärkten lagerte bestimmt eine Menge, das man noch essen konnte. Mit ein wenig Glück fanden sie auch Saatgut und konnten was anbauen, Mais, Weizen, vielleicht auch Gemüse. Mit den Konserven müssten sie dann nur den nächsten Winter überstehen. Hör mal, ein Käuzchen, sagte Susanne leise. Fast war Arne ein wenig enttäuscht.