Stolz auf Deutschland?

Kann ich stolz auf Deutschland sein? Bin ich es, obwohl ich die Geschichte kenne? Eine kleine Entdeckungsreise in meine eigene Befindlichkeit.

Als ich neulich in Japan war, stieß ich in einem Kaufhaus auf Haribo Goldbären. Nicht versteckt im Regal ausländischer Spezialitäten, sondern ziemlich prominent platziert. Guck an, dachte ich, haben die es also auch hierhin geschafft. Und tatsächlich, ich fühlte so etwas wie Stolz, dabei ess ich das Zeug heute nicht mehr.

Stolz oder stramm? Baden Baden, Tokyo.
Stolz oder stramm? Baden Baden, Tokyo.

 

Dagegen war ich amüsiert bis leicht peinlich berührt, als ich in den Bögen unter der Yurakucho Station ein Restaurant namens „Baden-Baden“ entdeckte. Untertitel: „German Cuisine“. Der Name passt nicht ganz zur Brauhauskarte mit Haxn, Weißwurst und Brezn, klingt aber vermutlich deutsch und ist leicht auszusprechen. Die zwei Jungs, die da grade herauskamen, waren übrigens Australier.

Gute Gründe, stolz zu sein

Es gibt also offenbar Deutsches, auf das ich irgendwie stolz bin, und anderes, auf das ich es nicht bin. Wenn ich weiter darüber nachdenke, bin ich z. B. auch auf Firmen wie BYTEC stolz, ein Auftragsfertiger für Medizingeräte. Ich durfte jüngst die neue Website für das Unternehmen texten und habe dabei auch viele Mitarbeitende kennengelernt: Menschen, die für ihr Leben gerne tüfteln und Probleme lösen – der deutsche Erfindergeist bei der Arbeit.

Und dann fallen mir natürlich gleich die ganze lange Reihe von Erfindern ein, von Wissenschaftlern, Forschern und Medizinern, von Künstlern und Schriftstellern, von Musikern und Philosophen. Wenn ich an Menschen denke wie Albert Einstein, Friedrich Schiller, Robert Koch, Johann Sebastian Bach oder Immanuel Kant – ja, dann bin ich stolz auf Deutschland. Weil dieses Land auch Menschen und Strukturen hervorgebracht hat, die solche Leistungen möglich machten.

Gute Gründe, nicht stolz zu sein

Aber ich bin nicht generell stolz auf dieses Land. Einiges geht mir sogar gehörig gegen den Strich. Und ich schäme mich zutiefst für all die Gräueltaten, die in diesem Land möglich waren. Ich schäme mich für die Ermordung von sechs Millionen Juden und einer oder wie viel Millionen weiterer Menschen, die nicht ins System passten, durch die Nazis. Ich schäme mich, dass dieses Land – mein Land – das zugelassen hat.

Mein Stolz und meine Scham sind nicht voneinander zu trennen. Ich kann nicht sagen: Ach, das ist vorbei, hört doch auf damit, das war nicht ich. Doch, ich bin das. Ich bin das alles. Es ist nicht meine Vergangenheit, aber es ist meine Geschichte. Das Gute und das Grauen. Sie gehört zu mir, zu meinem Menschsein. Tiere haben keine Geschichte. Und wer sagt, Ach, das ist doch vorbei, der verliert damit ein Stück seiner Menschlichkeit.

Mit dem Gestern verbunden

Die Verbindung zu dieser Geschichte ist keine ausgedachte, sie ist ganz real. Meine Eltern haben mir ihre vererbt. Zum Beispiel ihre Angst vor dem Verhungern. Oder die Freude am Wort. So wie alle Eltern ihre Geschichte an ihre Kinder vererben: in den ersten, den prägendsten Jahren der Kindheit. Diese engste Verbindung zur Vergangenheit wird man nie mehr los.

Ja, ich bin auch stolz auf meine Eltern. Sie haben sich nicht von den finsteren Seiten ihrer Geschichte unterkriegen lassen und haben ihre eigene Geschichte fortgeschrieben. Und so überwiegen meine guten Verbindungen zur Vergangenheit. Und genau darauf kommt es an.

PS: Wer diesen Mechanismus verstehen will, dem empfehle ich den Film „Das weiße Band“ von Michael Haneke. Ein wunderbarer Film, der mir mehr über das Warum der Nazizeit klargemacht als alles bisher.

PPS: Goldbären sind übrigens eine Verbindung in meine eigene Vergangenheit, in meine Kindheit. Diese Verbindung teile ich vermutlich mit vielen anderen Landsleuten. Ich mochte am liebsten die roten.