Lesen gefährdet die Dummheit

Haben Sie gerade etwas mehr Zeit? Lesen Sie doch mal wieder ein gutes Buch. Muss ja kein neues sein.

Können Sie sich an „Die neuen Leiden des jungen W.“ erinnern? Nicht gelesen? In diesem Roman von Ulrich Plenzdorf wischt sich der Held mit Goethes „Werther“ den Allerwertesten ab. Gerade noch rechtzeitig merkt er aber, was er da in Händen hält, und liest, statt zu wischen. Die Einleitung hatte er aber vermutlich schon verwischt.

Die spannende Frage ist: Wie würden Sie sich entscheiden? Heutzutage, da geeignetes unbedrucktes Papier schwer zu bekommen ist. Haben Sie überhaupt genügend saugfähige Druckwerke im Regal? Kunstbände sind mit Sicherheit eine schlechte Wahl.

Klopapier? Goldeimer!
Heiß begehrt, aber langweilig

 

Alte Liebe kostet nichts

Ich würde mich übrigens fürs Lesen entscheiden. Nicht nur aus Prinzip, sondern weil ich Bücher gerne mehrmals lese. Nach zehn Jahren kann ich mich sowieso nur noch grob an die Handlung erinnern, höchstens. Nachdem ich am Montag schon einen Flashback mit „Down by law“ auf arte hatte (noch bis 5. April in der arte-Mediathek) und momentan die Buchhandlungen sowieso geschlossen haben, könnte ich also auch mal wieder lange nicht Gelesenes aus dem Regal holen.

Gutes Buch, nicht teuer

Wie wäre es mit Paul Auster? Die New York-Trilogie oder Im Land der letzten Dinge? Keine Ahnung mehr, worum ’s geht. New York, so viel ist sicher. Endzeit auch. Falls Sie unbedingt einen aktuellen Bezug brauchen.

Javier Marías, Mein Herz so weiß. Hab ich aber schon dreimal gelesen. Fantastisch! Worum geht’s nochmal?

Lion Feuchtwanger, Die Jüdin von Toledo. Exzellenter Roman aus Zeiten der spanischen Reconquista, extrem klug und erfrischend geschrieben. Ich hab ’s ja sonst nicht mit „must read“ und Lesekanon. Aber dieses Buch ist nun wirklich sehr unterhaltsam und macht einen keineswegs dümmer.

Endzeit? Alter Hut

Thoma Glavinic, Die Arbeit der Nacht. Was wäre, wenn ich eines Tages aufwachen würde und alle anderen weg wären? Also, richtig weg. Keine Abschiedsbriefe, keine Leichen. Alles wie immer, nur keiner mehr da, auch keine Tiere. Ich gebe zu, nicht jedermanns Sache. Gerade drum: gutes Buch.

Haruki Murakami, Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt. Abgefahren! Der Protagonist in zwei Welten gefangen oder so. Wie gesagt, so genau weiß ich es nicht mehr. Eingangs steht ein Zitat von Sylvia Dee aus dem Lied „The End of the World„, hier gesungen von Skeeter Davis, Musik von Arthur Kent:

Why does the sun go on shining?
Why do the birds go on singing?
Don’t they know it’s the end of the world?

29 Jahre liegen zwischen diesem und dem Roman After Dark vom gleichen Autor, den ich vor Kurzem erst auf Englisch gelesen habe – und von dem ich auch nicht mehr wusste, ob ich es nicht schon mal auf Deutsch gelesen hatte.

Ah, Der Meister und Margarita von Michail Bulgakow. Eine Art russischer Faust, nur nicht so doof gereimt. Und Margarita ist alles andere als ein verhuschtes Gretchen. Sehr witzig! Hab ich erst einmal gelesen – wenn ich mich recht entsinne.

Apropos Frauen …

Literatur von Autorinnen, stelle ich fest, habe ich tatsächlich weniger gelesen. Ich vermute, es gibt auch weniger. Für mein Bücherregal trifft das auf jeden Fall zu.

Immerhin, das Buch, das ich mit Abstand am häufigsten gelesen habe, hat eine Frau verfasst: Judith Herrmann, Sommerhaus, später. Letztens erst wieder aufgesaugt. Immer noch toll. Auch prima zum Vorlesen

Ebenso: Alice Munro,  z.B. Wozu wollen Sie das wissen? Oder irgendeinen anderen Band mit Kurzgeschichten und Erzählungen. Nehmen Sie irgendwas, alle exzellent.

Support your local Buchladen

Nun kann es natürlich sein, dass Sie unter einem Supergedächtnis leiden oder selbst ein gutes Buch direkt nach der Lektüre verschenken. Dann funktioniert das hauseigene Recycling leider nicht – oder zum Glück für Ihren örtlichen Buchladen. Rufen Sie ihn doch mal an. Der freut sich jetzt noch mehr als sonst.