Eine Schwäche für starke Verben

Wie war das noch im letzten Jahr: Backten Sie Plätzchen oder buken Sie welche? Ein tieferer Blick in die Sonderbarkeiten der starken und schwachen Verben.

Sie wissen es längst: Ich liebe sie, die deutsche Sprache. Vielleicht bin ich sogar richtig stolz auf sie. Unsere Beziehung geht übrigens schon ziemlich lange. Das Geheimnis? Sie weiß, wie sie mich immer wieder überraschen kann. Neulich erst wieder mit dem Thema starke und schwache Verben. Zur Erinnerung:

Starke Verben haben eine eigene Vergangenheit.

Ist bei uns Menschen ja nicht anders. Darum kann ich mir das besser merken als die exakte Erklärung: wenn der Stammvokal zumindest im Präteritum wechselt, oft auch im Partizip II. Fachsprachlich heißt das Ablaut.
Beispielsweise (in der Reihenfolge der drei Stammformen: Infinitiv – Präteritum – Partizip II):

liegen – lag – gelegen

fliegen – flog – geflogen

fangen – fing – gefangen

Schwache Verben kriegen einfach was hinten drangepappt.

Genauer gesagt, der Verbstamm bekommt ein -te, und fertig ist die Vergangenheit. Beispielsweise:

fragen – fragte – gefragt

siegen – siegte – gesiegt

fluppen – fluppte – gefluppt

Manchmal werden auch noch gemischte Verben erwähnt. Da ist man sich aber nicht einig, ob das nicht doch unregelmäßige oder starke Verben sind. Überhaupt sehr hoher Nerd-Faktor hier. Wir gehen lieber direkt weiter zur Freakshow.

Unheimliche Zwitterwesen

Tatsächlich gibt es Verben, die beides sein können: stark und schwach. Und davon gibt es dann mindestens drei verschiedene Typen.

Da ist einmal diese Untergangsvision von Sprach-Skeptikern. Sie besagt, dass starke Verben immer mehr zu schwachen werden. Weil keiner mehr richtig Deutsch könne. Und überhaupt, das Abendland.

Als Beispiel dient meist „backen„. Da ist die ursprüngliche Vergangenheit „ich buk„. Aber „ich backte“ ist auch richtig. Ich teile diese Skepsis im Übrigen nicht. Meine Plätzchen backe ich auch in Zukunft, wie ich will. Oder in Vergangenheit, wie ich wollte.

Multiple Bedeutungen

Lustiger sind die Verben, die beides sein können, aber jeweils was anderes bedeuten. Zum Beispiel:

scheren
Wenn jemand seine Beine schor, sind keine Haare mehr drauf. Wenn er allerdings seine Beine scherte, hat er vielleicht nur Gymnastik betrieben.
Oder:

schleifen
„Am Anfang schliffen sie die Schwerter, am Ende schleiften sie die Festung.“

Jetzt werden Sie sagen: Moment, die sehen nur gleich aus – sind aber eigentlich zwei unterschiedliche Worte. Stimmt. Für „scheren“ listet der Duden sogar vier Verben, die sich so schreiben, aber jeweils eine andere Bedeutung und Herkunft haben. Das ist zwar auch verwirrend, aber ein etwas anderes Thema. Zurück also zu unserem.

Das Würgen mit „hängen“

„Er hängte die Gitarre an den Nagel. Dort hing sie dann viele Jahre.“

Im ersten Fall schwach, im zweiten stark. Die Bedeutung ist in beiden prinzipiell gleich. Also: Wo ist der Unterschied? Antwort: in der Satzbeziehung.

In Fall 1 hängt das Subjekt (Er) ein Objekt (die Gitarre) an die notwendige adverbiale Bestimmung (an den Nagel).
In Fall 2 ist es das Subjekt selbst („sie“, also die Gitarre), das hängt. Das kann es auch ganz alleine, Objekte und adverbiale Bestimmungen sind da nicht notwendig. Nicht klar? Also noch ein Beispiel:

„Die Festplatte hängte sich (Objekt) auf (adverbiale Bestimmung).“
Aber:
„Die Festplatte hing.“ Und zwar ganz alleine.

Hier ist Fall 1 zwar ein anderes Verb, „aufhängen“, aber im Prinzip das gleiche. Die Vorsilbe „auf-“ dient hier als adverbiale Bestimmung. Wie überhaupt dieses Verb immer wieder für Verwirrung sorgt. Starke und schwache Form werden gerne verwechselt. Das gilt auch für alle Abkömmlinge von „hängen“, z. B.:

Ein Anhänger, ein altes Plakat oder im übertragenen Sinne Verfolger werden – schwach – abgehängt. Ein gutes Stück Rindfleisch dagegen verzehrt man am besten – stark – gut abgehangen.

Die starke Version gilt übrigens auch für noch lebendes Fleisch, falls es wenig Aktivität zeigt. So kann ich mich noch gut daran erinnern, wie wir in jungen Jahren im Jugendheim abhingen (und nicht etwa abhängten). Weil wir es selbst taten. Wir waren also immerhin grammatikalisch tätig.

Rätselhafte Verbenwelt

Leuchtet soweit ein? Dann ziehen Sie sich das mal rein:
„Ihre Rede bewegte ihn tief und bewog ihn dazu, seine Meinung zu ändern.“

Dunkle Magie? Taschenspielertrick? Oder einfach nur ein Unfall der Sprachentwicklung? Mal ehrlich: Erklärungen sind langweilig. Aber Sie können ja mal beim Plätzchenbacken drüber nachdenken.