Du kriegst die Motten!

Das Wort „kriegen“ genießt keinen guten Ruf. Zu Unrecht, wie ich finde.

Irgendwann einmal, in jungen Jahren, sagte jemand zu mir: „Kriegen ist kein schönes Wort.“ Umgangssprache, kein richtiges Deutsch, zumindest kein richtig gutes. Ich solle doch bitte „bekommen“ sagen.

Als hätte man mir gesagt, ich solle das richtige Händchen geben. Als Linkshänder!

Mir ist das ziemlich sauer aufgestoßen. Der saure Geschmack hat mich seitdem nicht mehr verlassen. Zur Selbsttherapie möchte ich also nun eine kleine Ehrenrettung des Wortes „kriegen“ unternehmen.

Umgangssprachlich richtig

Tatsächlich notiert der Duden das Wort als umgangssprachlich. Richtig ist auch, dass es sich oft durch „bekommen“ ersetzen lässt. Das steht in der Tat stilistisch höher. Ist aber nicht immer die bessere Wahl. Denn selbst wenn es synonym ist, kann es doch in der jeweiligen Sprechsituation unangemessen sein.

Nehmen wir ein Gespräch mit einem Freund, der Ihnen noch 10 Euro schuldet. Wenn Sie dem sagen: „Ich bekomme noch 10 Euro von dir“, wird er Sie vermutlich schief angucken. Oder Sie kriegen Kloppe. Umgangssprache ist eben die Sprache für den lockeren Umgang miteinander.

Feststehende Wendungen

Darum taucht das Wort auch in einer ganzen Reihe von umgangssprachlichen Wendungen auf. So kriegen nicht alle die Kurve, einige kriegen es auf die Reihe, andere kriegen’s nicht gebacken, und so mancher kriegt dabei voll den Rappel oder die schon erwähnten Motten.

Und wenn Sie den Chef schreien hören: „Du kriegst die Tür nicht zu!“, mag das daran liegen, das er beim Kunden keinen Fuß in die Tür kriegt.

Aber auch außerhalb von Umgangssprache und Wendungen kann „kriegen“ das bessere Wort sein. Wenn es z. B. um direkte Körperlichkeit geht. So sind manche Frauen zum Kinderkriegen nicht gemacht, und so mancher Mann kriegt bei dem Thema Gänsehaut. Das Wort ist einfach näher dran.

Kriegen ist nicht bekommen

Lustig wird’s, wenn sich der Sprecher seiner Sprechsituation nicht sicher ist. Oder wenn er, wie ich, gelernt hat, dass „kriegen“ böse ist. Dann werden auch schon mal feststehende Wendungen vergewaltigt. Aber „die Kurve bekommen“ klingt nicht nur bescheuert, es ist auch einfach falsch. Denn hier bedeutet „kriegen“ nicht „bekommen, erhalten“, sondern „etwas meistern“.

Im Übrigen – und zur endgültigen Ehrenrettung – gehört das Wort zum Wortschatz für das Goethe-Zertifikat B2. Und das sollten laut Goethe-Institut Fremdsprachler haben, die sich z. B. „auf eine Tätigkeit im medizinischen Bereich in Deutschland vorbereiten“ möchten. Schließlich muss man da wissen, was es mit diesem Kinderkriegen auf sich hat.