Benötigen Sie einen Weihnachtsmann?

Unser Schreibstil wird maßgeblich von der Wortwahl beeinflusst. Die sollten wir uns bewusst machen. Denn sie muss nicht nur zum Publikum passen, sondern vor allem zu uns selbst.

Vielleicht erinnern Sie sich an die Schluss-Szene der Weihnachtsfolge von Loriot: Das Ehepaar Hoppenstedt will seine Geschenkverpackungen einfach ins Treppenhaus entsorgen, wird aber beim Öffnen der Tür unter dem Verpackungsmüll der Nachbarn begraben. Als Gipfel des Skurrilen taucht hinter dem Müllberg ein Mann im Weihnachtsmannkostüm auf und fragt: „Benötigen Sie einen Weihnachtsmann?“

Die Szene ist ein Paradebeispiel für Loriots feinen und fein kalkulierten Humor. Der Weihnachtsmann hätte ja auch sagen können: „Brauchen Sie einen Weihnachtsmann?“ Das wäre immer noch skurril genug. Nicht genug für Loriot alias Vicco von Bülow: Mit Sinn noch für das kleinste Detail, wählt er das stilistisch höhere und dadurch ziemlich unpassende „benötigen“ – und setzt der Szene damit gewissermaßen das Zitronencreme-Bällchen auf.

Adäquates Sprechen

Nun ist es ja im Normalfall nicht unsere Absicht, einen inadäquaten Stil zu wählen. Dafür wäre es hilfreich, uns unserer Absicht bewusst zu sein. Sind wir aber häufig nicht. Beim Sprechen ist das nicht so sehr das Problem. Unbewusst wählen wir hier meist den passenden Stil, abhängig von der Situation – im Meeting reden wir anders als daheim am Küchentisch.

Sie können ja mal überlegen, in welchen Situationen Sie welchen Teil der folgenden Synonym-Paare verwenden würden:

aber – jedoch
schon – bereits
Info – Information
kriegen – bekommen
zusammen – gemeinsam
obwohl – obschon – obzwar
nochmal – noch einmal – erneut

Schreibend wirksame Wortwahl

Was nun beim Sprechen unbewusst funktioniert, wird beim Schreiben zu einem heikleren Unterfangen. Schließlich müssen wir uns die fehlende Sprechsituation vorstellen. Das Problem ist: Viele stellen sich nur das Gegenüber vor, also die Lesenden, nicht aber sich selbst. Sie sollten sich aber auch darüber Gedanken machen, welchen Eindruck Ihr Gegenüber beim Lesen von Ihnen bekommen soll.

Denn oft entscheidet nicht der Inhalt, sondern die Art, wie Sie es sagen. Ob Sie futtern, essen, speisen, dinieren oder Nahrung zu sich nehmen – das inhaltliche Ergebnis ist das gleiche. Der Eindruck, den Sie hinterlassen, ist ein anderer. Soll ein Kunde Sie telefonisch kontaktieren, per Telefon erreichen oder einfach nur anrufen? Haben Sie die E-Mail bereits gesendet oder die Mail schon geschickt?

Wer möchten oder wollen Sie sein?

Werbetechnisch gesprochen: Welches Image möchten Sie vermitteln? Anpackender Problemlöser, gewiefter Scout, väterlicher Freund, Happy von nebenan, Ratgeber im Hintergrund, unbestechliche Informantin? Solche Typen sind natürlich nur grobe Annäherungen. Sie helfen aber sich klarzumachen, wohin die Reise gehen soll.

Aha, Sie wollen einfach nur Sie selbst sein. Das ist gut – falls Sie wissen, wer dieses Selbst ist. Und falls Sie wissen, dass Sie immer und überall das gleiche Selbst sind. Ein Indiz wäre, wenn Sie von obigen Synonym-Paaren immer den gleichen Teil verwenden. Oder wenn Ihre Freunde, Kunden, Verwandten und Lieferanten sagen: Jau, die Else ist einfach nur die Else.

Mehr als nur Worte

Natürlich ist die Wortwahl nur ein Teil des Schreibstils, der am Ende dabei herauskommt. Aber dieser Teil ist nicht unwichtig und verdient Ihr Augenmerk. Oder Ihre Beachtung. Oder berücksichtigt zu werden. Vielleicht mehr als bisher.

Und nur für den bedauernswerten Fall, dass Sie es noch nicht kennen: Weihnachten bei Hoppenstedts (Folge 14 der Fernsehserie Loriot in der Schnittfassung von 1997) wurde in den vergangenen Jahren stets zu Weihnachten auf NDR und anderen Dritten gezeigt. Das wird hoffentlich auch dieses Jahr so sein.