Wo kein Richter, da kein Henker

Blödsinn ist in der deutschen Sprache an der Tagesordnung. Manchmal schafft er es sogar bis in den Duden.

Nein, Sprache ist nicht einfach, erst recht nicht die deutsche. Gerade deshalb gibt es immer Absonderliches zu entdecken. Ich will hier gar nicht anfangen von den Fehlern, die wir ständig beim Sprechen einbauen. Sprechen ist immer heikel, weil man es nicht mehr Korrektur lesen kann, bevor es rausgeht. Ein schönes Beispiel ist „Mängelerscheinung“: Die Sprecherin des WDR meinte „Mangelerscheinung“, offenbar kam ihr aber das Wort „Mängelliste“ auf dem Weg vom Hirn zum Mund in die Quere. Vermutlich hat sie beim Nachhören darüber herzlich gelacht.

Synchron – was?

Nicht alle Fehler, im Eifer des Gefechts gemacht, sind uns im Nachhinein so bewusst. Auf einen verbreiteten Irrtum machte mich jüngst eine Dolmetscherin aufmerksam, für die ich die Website texten durfte: Sie wird von Kunden oft als „Synchrondolmetscherin“ angefragt. Nun gibt es zwar Synchronsprecher, die fremdsprachige Filme lippensynchron übertragen, z. B. Christian Brückner, die deutsche Stimme von Robert De Niro. Auch gibt es Synchronschwimmer (die übrigens meist Synchronschwimmerinnen sind, obwohl es ursprünglich ein reiner Männersport war). Beim Dolmetschen aber heißt es „Simultandolmetscher“.

Mund-zu-Mund-Propaganda

In den Duden hat es das Synchrondolmetschen allerdings noch nicht geschafft – im Gegensatz zur „Mund-zu-Mund-Propaganda“. Wenn Ihnen der Begriff nicht komisch vorkommt, stellen Sie sich bitte den Übertragungsweg vor, der hier beschrieben wird. Vor Ihrem geistigen Auge tauchen jetzt vermutlich Szenen wie aus dem Kölner Karneval auf. In Köln sagen wir allerdings nicht „Mund-zu-Mund-Propaganda“, sondern „Bützcher“.
Eigentlich heißt es „Mundpropaganda“. Oder „Mund-zu-Mund-Beatmung“. Aber was heißt schon „eigentlich“. Wenn ziemlich viele Leute bei der Anwendung durcheinandergekommen, schafft es auch das eigentlich Falsche in den Duden. Was mal wieder zeigt, dass der Duden kein Gesetzestext ist, sondern ein zeitverzögerter Schnappschuss unserer Sprache. Sprich: Wenn die überwiegende Mehrheit es nicht mehr für falsch hält, wird es irgendwann für richtig erklärt.

Nachhaltig positionieren

Schwieriger als unsinnig zu entlarven sind Modeworte, auch Buzzwords genannt. Sie werden häufig von Rede- und Meinungsführern benutzt – Politiker, Chefs, Journalisten etc. – und von den Geführten oft ungefragt übernommen. Die Liste ist lang. So lang, dass man damit Buzzword-Bingo spielen kann, auch bekannt als Bullshit-Bingo. Eines meiner Lieblinge ist „nachhaltig“, ein anderes „positionieren“. Solche Worte sind ja nicht per se falsch, nur im Zusammenhang oft unpassend. „Nachhaltige Waldwirtschaft“ ist okay, „nachhaltige Wandfarbe“ nicht, weil „nachhaltig“ nur im Zusammenhang mit Prozessen sinnvoll ist. Sich im Marktumfeld zu positionieren ist okay, einen Blumenkübel auf der rechten Balkonseite zu positionieren ist Unfug – den stellt man einfach dahin.

Potenziell falsch

Noch so ein überstrapaziertes Wort: „potenziell“. Und ein oft falsch angewendetes dazu. So sind viele „potenzielle Risiken“ in Wahrheit tatsächliche Risiken – oder nur „vielleicht Risiken“. Aber das ist ein Thema für einen eigenen Artikel. Wie übrigens auch falsch angewandte Redewendungen. Die aus der Headline gehört ebenfalls dazu, aufgeschnappt im Fitness-Studio. Ich möchte nicht ausschließen, dass der muskelgestählte Sprecher seinen Dürrenmatt – „Der Richter und sein Henker“ – kannte und das Sprichwort absichtlich abgewandelt hat, augenzwinkernder Weise. Wenn dem so war, so ist doch fraglich, ob der Empfänger das Augenzwinkern verstanden hat. Ehrlich gesagt, sah er eher aus wie ein Befürworter der Todesstrafe. Für uns EU-Bürger gilt aber nach wie vor: Wo kein Kläger, da kein Richter. Henker müssen sich bei uns anders positionieren.