Japanische Überraschung

Japan ist anders. Aber anders anders, als ich dachte. Ein kleiner Erfahrungsbericht.

Japan liegt geografisch am anderen Ende der Welt. Und irgendwie auch kulturell – die Sprache, die Gesellschaft, der Linksverkehr, das Essen. Darauf war ich eingestellt vor unserem dreiwöchigen Trip nach Tokio, Fuji, Kyoto und Hiroshima. Und war dann erst mal überrascht, wie wenig fremd es mir vorkam. Denn im Prinzip funktioniert alles wie bei uns in Deutschland.

Klar, in Tokio ist alles größer und voller, dafür aber auch disziplinierter. Und die Bahn ist pünktlicher, allerdings denke ich das in der Schweiz auch immer. Die Unterschiede kamen daher von ganz unerwarteter Seite auf mich zu.

Unterschied Nr. 1: Stil

Weil erst mal alles so lief wie daheim, fühlte ich mich noch nicht mal fremd aussehend – bis ich dann andere Langnasen sah und mir bewusst wurde, wie fremd ich hier aussehen musste. Immerhin trug ich keine kurzen Hosen und benahm mich auch sonst nicht, als wäre ich auf Strandurlaub.

Aber beim Anblick meiner touristischen Gesichtsgenossen wurde mir bewusst, wie stilvoll die meisten Japaner gekleidet sind. Zerrissene Jeans sind hier kein zynischer Ausdruck von Mode, sondern von Armut. Kurze Hosen gehören an den Strand, Boxershorts unter die Hose.

Stylisch: Rote Schuhe eines Mädchens in der Bahn
Stylisch, irgendwie

 

Dabei hatte Mode ja auch bei uns mal was mit Stil zu tun. Klar, auch Japaner laufen nicht immer in Anzug und Kostüm rum. Aber selbst im lässigen Freizeitlook sehen sie  stilvoller aus als die meisten Touristen.

Übrigens: Anders als bei uns haben Tätowierungen in Japan Tradition – bei Gangster-Syndikaten. Darum kommt man mit Tattoo auch nicht ins Onsen, das öffentliche heiße Quellbad.

Unterschied Nr. 2: Parken

Nein, wir hatten uns keinen Wagen gemietet, sondern waren im hervorragend ausgebauten öffentlichen Verkehrsnetz unterwegs. Oder zu Fuß. Gute Entscheidung. Denn die wahre Herausforderung für mich wäre nicht etwa der Linksverkehr gewesen, sondern das Parken. Das ist so kompliziert, dass es sogar Stoff für wissenschaftliche Studien bietet. Einfach an der Straße halten ist verboten. So verboten, dass es richtig teuer wird, wann man’s tut.

In Japan nur ausnahmsweise erlaubt: Parken am Straßenrand, hier ein blauer Datsun-Oldtimer in Tokio
Nur ausnahmsweise erlaubt: Parken am Straßenrand

 

Das hat mehrere Auswirkungen. Erstens sind die Straßenränder frei von parkenden Autos. Ziemlich ungewöhnlicher Anblick. Und ziemlich angenehm, sowohl fürs Auge als auch zum Flanieren. Zweitens: die Parkmöglichkeiten. Es gibt vollautomatische Parkhäuser, Parkplätze mit seltsamen Sicherheitsvorrichtungen und noch seltsamere Parkmaschinen.

Parkmaschine in Tokio
Parkmaschine in Tokio

 

Und natürlich gibt es den hauseigenen Parkplatz – der wohlgemerkt auf dem eigenen Grundstück liegen muss, nicht auf der Straße.

Wirklich drollig sind aber die Autos, die daraus entstanden sind: Kei-Cars, von japanisch 軽自動車, keijidōsha, was soviel heißt wie „leichtes Automobil“. Maximale Maße: 3,39 m lang, 1,48 m breit (zum Vergleich: ein VW Up! in Deutschland ist 3,54 m lang, 1,64 m breit). Damit passt man auch in kleine Parkplätze.

Und – Hauptvorteil – man muss beim Kauf nicht nachweisen, dass man einen Parkplatz für das Gefährt hat. Folgerichtig sind ein Drittel aller Neuzulassungen in Japan Kei-Cars. Und keine SUVs.

Kleinstwagen in Japan: Kei-Car parkt ordnungsgemäß am Haus
Passt: Key-Car

 

Warum man am Straßenrand nicht parken darf, hab ich übrigens nicht rausfinden können. Weil die Straße zum Fahren da sei, sagte man mir. Um die Kfz-Zahl im Ballungsgebiet zu begrenzen. Ich denke, dass es auch etwas mit Katastrophenschutz zu tun hat: Bei Erdbeben, Tsunamis und Taifunen stehen Autos am Straßenrand nur im Weg, sowohl Rettungskräften als auch Schutzsuchenden.

Wie konkret diese Gefahren sind, haben wir selbst erlebt mit Taifun „Trami“, Nr. 24 in diesem Jahr. Einen ganzen Tag lang waren in Kyoto buchstäblich die Bürgersteige hochgeklappt. Die Auswirkungen waren insgesamt nicht so arg. Aber von einem Dach gegenüber unseres Hotels hat der Sturm irgendwas los- und krachend in die Tiefe gerissen. Verletzt wurde hoffentlich niemand.

Unterschied Nr. 3: Sounds

Überrascht haben mich auch die Zahl und Vielfalt von Sounds und Ansagen im öffentlichen Raum. In Bahnhöfen, Fahrstühlen, Warteschlangen, Ampeln, Toilettenhäuschen, Zügen, Bussen und praktisch überall klingt und spricht es einem entgegen. Hier zum Beispiel die Melodie für die Grünphase einer Ampel in Kawaguchiko:

 

Vermutlich ist das eine Leitfunktion für Blinde. Aber auch Sehende werden ständig angeleitet. Hier ein Hinweis an einer Taschenkontrolle des Tokyo Metropolitan Government Building, zuerst auf Japanisch, dann in Englisch. Letzteres klingt deutlich mehr nach Überwachungsstaat, oder?

 

Überhaupt, die Höflichkeit der Japaner. Was hier wie ein buddhistisches Mantra klingt, ist ein Busfahrer in Kyoto, der sich fürs Bezahlen bedankt. Kein Einzelfall: Das machten alle Busfahrer in Kyoto so, alle im gleichen Tonfall, alle über Mikrophon.

 

Unterschied Nr. 4 – 99

Natürlich gibt es noch viel mehr Unterschiede zwischen Japan und Deutschland. Die ich längst nicht alle entdeckt habe, geschweige denn, ihre Ursache ergründet. Beispielsweise warum alles Mögliche mit kleinen niedlichen Tierchen beworben oder angekündigt wird. Warum es fast nur Spezialitätenrestaurants gibt, z. B. für Sushi, für Hähnchenspieße, für Ramen-Nudelsuppen, für Udon-Nudelsuppen, für in Teig Ausfrittiertes etc. Warum es keine Bauordnung gibt oder nur eine, die ich nicht verstehe. Oder warum Baseball Sportart Nr. 1 ist. Muss ich also nochmal hinfahren. Vielleicht zur Rugby-WM im nächsten Jahr.

Maskottchen der Rugby-WM 2019 in Japan
Niedlich: Maskottchen der Rugby-WM 2019